18. November 2016

All der Dreck... und nur zur Freude?

Gärtnern ist ein angesehenes Hobby, in Jahreszeiten, wo es grünt und blüht. Kaum kriechen die ersten Blüten aus dem Boden, entdecken viele Leute ihre Liebe fürs Botanische und solidarisieren sich, indem sie mich fragen, ob es bei mir auch schon etwas zu sehen gäbe. Das finde ich nett und erzähle, wie lange es hier schon bunt ist und was alles erscheint und wie viele Kubikmeter Schnittgut ich schon gehäckselt habe, was ich noch vorhabe und wo ich bald das nächste Beet renovieren, von Winden befreien oder sogar komplett neu anlegen werde - aber schon hier wird es den meisten zu viel, die Realität in Form von Erde in den Haaren, Schweiß und Anstrengung überlagert ihre Freude an den Blüten und sie sind froh, selber "nur ein paar Schneeglöckchen" zu haben.

Boehmeria tricuspis im Schatten

Schlimmer noch ist es jetzt im Herbst. Smalltalk mit der Gartenfrau startet im Herbst stets mit der Einwinterungsfrage: "Und, schon alles winterfest?" Mein Stirnrunzeln und das Reden von "Verblühtem" und "schön" in einem Satz und "welk" und "Raureif" und "Stehenlassen" und "Schnitt im Frühling" verwirrt die meisten; manchmal überfordere ich meine Gegenüber offenbar auch, wenn ich von Laub zu schwärmen beginne und von Kompost. Bestimmt lächeln sie nur mir zuliebe und geben ihrem inneren Ich High-Five, weil sie sich so einen Murks nicht antun müssen - manchmal schimmert sowas durch, bei aller Freundlichkeit und positiver Ökobeteuerung.


Eupatorium maculatum 'Bartered Bride' und Rudbeckia nitida 'Herbstsonne'

Nun ist es natürlich schon spannend, warum ich das alles wirklich so gerne mache. Denn das tue ich, und nicht nur saisonal - wenn ich jetzt die im Gegenlicht leuchtenden Samenstände sehe, dann rede ich sie mir nicht schön, weil das einfacher ist, als sie roden zu wollen und nicht zu können, weil alles so matschig ist, dass man beim Versuch im Boden steckenbleiben würde - nein, ich finde sie wirklich schön, im besten Sinne, ich bekomme sogar regelmäßig dieses Herzklopfen-Gefühl, wenn mir etwas so gut gefällt, dass ich ganz, ganz stark hoffe, dass auch die Fotos danach aussehen werden. Im Frühling etwa, wenn die ersten Blüten erscheinen, knipse ich immer wie irre und freue mich so sehr, dass ich das Gefühl habe, unbedingt allen zeigen zu müssen, was mir so gefällt.

Boehmeria platanifolia

Leider zeigen die Bilder dann oft gnadenlos die Realität: Vier zerknautschte, weiße Blüten in einem riesigen, leeren Beet. Niemanden reißt sowas vom Hocker, das muss ich dann sogar selbst zugeben - und auch Leute, die ich dann in den Garten schleife, weils mit den Fotos ja nicht klappt, sind dann meist etwas irritiert. Nur wirkliche Gartenfreaks, und zum Glück kenne ich einige davon, sind auch im Winter für den Garten zu begeistern. Für alle, die Blumen grad so mögen und gerne draußen sind, mag es absurd erscheinen, wie jemand im Dezember stundenlang Zeit in den Beeten verbringen kann - aber das geht, sehr leicht sogar. Man sieht ja immerhin, was wo wächst und kann sich denken, wie es dort im Sommer aussieht. Gartenleute haben nur Probleme mit völlig leeren Gärten - gib ihnen ein zermatschtes Beet, schon blüht und summt es vor ihrem inneren Auge.

Miscanthus '´Federweißer', Molina 'Transparent' und Aster novae-angliae 'Herbstsonne'

Genau deshalb mag ich meine welken Beete so sehr - es ist halt manchmal eine etwas einsame Freude. Und natürlich ist der Winter nicht meine liebste Zeit im Jahr, wohl aber der Frühling, der direkt danach kommt - und der wäre nur halb so schön, wenn man nicht doch einige Zeit auf ihn warten müsste. Ich wintere den Garten also nicht ein, sondern warte in ihm werkend und herumgrabend darauf, dass wieder etwas blüht. Deshalb schneide ich die Beete auch erst im Februar oder März runter und im Idealfall gibt es gleich danach Blüten, und die eingelegten Zwiebelpflanzen treiben aus und die Schneeglöckchen sind zum Teilen und es muss gehäckselt werden und so weiter. Darauf freue ich mich schon. Vermutlich also mag ich den Garten, weil es immer, immer weitergeht, weil immer etwas Neues erscheint und man sich niemals verlassen kann, dass es wieder so aussieht wie vor einem Jahr; meist schaut es anders aus, aber schöner und wenn nicht, dann gräbt man um.

Denn im Garten kann man ändern, was stört und man kann ausreißen, was wegsoll - oder hoffen, dass es im Frühling dann gar nicht mehr stört. Und vor allem kann man planen, Idee verwerfen, Überlegungen anstellen, diese dann umsetzen und dann kann man wieder planen. Eigentlich also, ist es dann am schönsten, wenn man gerade gestaltet - und dazu ist im Winterhalbjahr genug Zeit. Daher: Kein Einwintern, sondern sich selbst einpacken und los gehts! Keine Blüten lenken ab, kein Trieb kann zertreten werden und sobald man gräbt, ist jede Jahreszeit vergessen. Denn das eigentliche Problem des Winters ist nicht seine Blütenlosigkeit, sondern die Tatsache, dass der Garten uns, nach Unmengen an Laub innerhalb weniger Wochen, nun keine mehr Arbeit aufdrängt; kein Wunder, dass niemand diese Jahreszeit mag. Aber niemand hält uns auf, kreativ zu sein. Solange der Boden nicht gefroren ist, kann überall gegraben werden, wo man selber grade möchte. Der Frühling kommt früh genug ;-).

Eupatorium Vernonia, Molinia, Leucanthemella

Falls jemandem im Winter doch fad werden sollte: Man findet mich jetzt auf Instagram - und ich freue mich, euch auch dort zu begegnen!